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Wie Ayo ein „bemöbeltes“ Zimmer in Duisburg fand…

Wie Ayo ein „bemöbeltes“ Zimmer in Duisburg fand…

Es ist ein Leben „unter dem Radar“. In Nordrhein-Westfalen leben 23.000 geflüchtete, junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren, die bei uns „nur“ geduldet, aber nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Die Abschiebung kann ihnen täglich drohen. Ein Leben zwischen Frust/ Angst und Hoffnung. Dabei sehen viele von ihnen ihre Zukunft in unserer Gesellschaft. Die Landesprogramme „Gemeinsam klappt’s“ und „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ erkennen das Problem und ermöglichen Perspektiven. Junge Migrantinnen wie Ayo aus Nigeria packen diese Gelegenheit beim Schopf.

Sie guckt offen und geradeaus; ihr schüchternes Lächeln fängt jeden sofort ein. Ayo lebt nicht einmal zwei Jahre in Duisburg und spricht bereits ein verblüffend gutes Deutsch. Nur mit dem Schreiben tue sie sich schwer, sagt die 19jährige…und dann lächelt sie wieder.

Ayo ist eine von mehr als 500 geduldeten oder gestatteten jungen Erwachsenen in Duisburg, zu denen die Projektmitarbeitenden laut Auftrag Kontakt aufnehmen sollten. Etwa knapp die Hälfte von ihnen nimmt an einem der Programm-Bausteine teil oder steht derzeit in Kontakt zu einem der beauftragten Träger.

Die positive Einstellung der jungen Frau ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass ständig das Damokles-Schwert der Abschiebung über ihr schwebt. Von ihrer Fluchtgeschichte über das Mittelmeer und Italien ganz zu schweigen. Wenn sie darüber spricht, kann man die Dramatik nur erahnen. Sie lässt sich nicht anmerken, wie sehr sie die daraus folgende Trennung von ihrer Mutter belastet.

Erster Schritt: Schulabschluss

Ayo, die mit vollem Namen Ayomide Awosile heißt, erzählt von der gerade absolvierten Prüfung für den Hauptschulabschluss. Marion Rossocha und Sebastian Schneider hören interessiert zu. Man spürt: das hier ist für sie mehr als ein Job. Sie haben die junge Frau im August 2020 kennengelernt und sich sofort an die Arbeit gemacht: Rossocha (Diakoniewerk) in der Funktion eines Coaches; Schneider (Volkshochschule) mit den Aufgaben eines Teilhabemanagers.

Erstes Ziel: der nachträgliche Schulabschluss. In eine Regelschule kann Ayo nicht; für den Unterricht bei privaten Schulträgern fehlt das Geld. Die Lösung findet Sebastian Schneider in seinem eigenen Haus: ein Kurs bei der Volkshochschule Duisburg. Der kostet nur eine Teilnahmegebühr von 50 Euro pro Semester. Auch dieser Betrag scheint zunächst noch eine Hürde für die junge Frau zu sein, doch es findet sich ein Ausweg.

Netzwerke helfen

Und zwar durch einen persönlichen Kontakt zum Sprach-Café für arabische Frauen in Duisburg-Mitte. Die nahmen gerne daran teil, waren aber regelmäßig durch ihre Kinder, die sie mitbringen müssen, abgelenkt. Die Lösung: es müsste ein junger, freundlicher Mensch gefunden werden, der sich mit den Kindern in dieser Zeit beschäftigt – ehrenamtlich für eine kleine Aufwandsentschädigung von 50 Euro. „Der ideale Job für unsere Ayo“, befand Marion Rossocha. Gesagt – getan: eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

Wöchentliche Teamsitzung

Die beiden Betreuer von Ayo stehen nicht allein. Sie sind Teil eines Netzwerkes, das sich jeden Mittwoch austauscht: bis zu 14 Personen. Teilhabemanager*innen, Coaches, Geschäftsführende Stelle und Anlass bezogen weitere Gäste sitzen im Team zusammen - pandemiebedingt (aktuell noch!) per Video-Schalte. Ein unauffälliger Zirkel, von der Duisburger Öffentlichkeit unbeachtet, aber von seiner Wirkung nicht zu unterschätzen. „Was wir hier machen, spart der Stadt richtig Geld“, sagt einer aus der Runde. Nämlich immer dann, wenn ein junger Erwachsener „auf eigenen Beinen“ stehen kann und keine Transferleistungen bezieht.

Oder wenn eine Wohnung gesucht wird wie für die Ayo. Raus aus der Heimunterkunft in eine sog. Verselbständigungsgruppe – das war der nächste Schritt für das Betreuer-Duo Rossocha/Schneider. Das ist ein Haus, in dem die junge Frau eine eigene kleine Wohnung hat: „ein bemöbeltes Zimmer“, wie sie es in selbst bei der ersten Besichtigung lustig nannte.

Eine „Jogi Löw“ für Duisburg

Das Duisburger Team-Modell hat landesweit Vorbild-Charakter. Der Austausch ist offen und kollegial – auch zwischen verschiedenen Maßnahmenträgern. Die Anfänge waren pandemiebedingt mühsam, erinnert sich Barbara Aldag. „Die erste Sitzung mit der Geschäftsführenden Stelle und allen Teilhabemanager*innen fand sofort nach Jahresbeginn 2020 statt – anfangs mehrmals die Woche. Da mussten wir uns erst einmal kennenlernen.“ Die Organisationen - das sind neben dem Diakoniewerk Duisburg GmbH: die KH Qualifizierungs- und Vermittlungs-GmbH, Bildungszentrum Handwerk der Kreishandwerkerschaft Duisburg; Duisburger Werkkiste – Katholische Jugendberufshilfe gGmbH sowie der Verein für Kinderhilfe und Jugendarbeit Duisburg e.V. in Kooperation mit der Volkshochschule Duisburg (VHS).

Für die „Geschäftsführende Stelle“, das Büro Bildungsregion der Stadt Duisburg, hat Barbara Aldag diesen Job übernommen. Die frühere Abteilungsleiterin der Volkshochschule Duisburg profitiert von ihrer Verwaltungserfahrung. Sie weiß sich in den Behördenstrukturen und Gesetzesgrenzen sicher zu bewegen; sie findet immer den richtigen Ton; sie bremst und treibt an, je nach Bedarf. „Termine koordinieren, Sitzungen leiten, Fragestellungen bündeln: so sieht sie selbst ihre Aufgabe. „Es macht keinen Sinn, wenn verschiedene Teilhabemanager mit der gleichen Frage beim Ministerium anrufen“, nennt sie als Beispiel. „Das übernehme ich dann.“ Die Gruppe weiß das zu schätzen. „Sie ist unser Jogi Löw“, sagt Marion Rossocha lobend.

Licht und Schatten - nicht alle machen mit

Aktuell betreuen die Teilhabemanager*innen 200 Geflüchtete im Rahmen des Case Managements. Die meisten - derzeit 171 - werden in die Betreuung durch die Coaches weitergeben. 18 Geflüchtete nehmen an Qualifizierungsbausteinen teil, weitere zehn haben sich bereits angemeldet. „Mutmacher“-Beispiele wie die junge Geflüchtete aus Nigeria motivieren die Gruppe. Sie sind aber nicht die Regel. Der Alltag der Coaches und Teilhabemanager ist so bunt und vielfältig wie die Lebensgeschichten ihrer Klienten.

Coach Carolin D. erzählt von einem fast gleichaltrigen Mann aus Guinea, der allerdings – anders als Ayo – in seiner Heimat keine Schule besucht hat und sich schwertut hierzulande. „Er packte erst einmal einen Rucksack voller Briefe aus“, erinnert sich Carolin D.. Von Behördenpost bis zu Mahnungen zum Handy-Vertrag. Alltagsprobleme. Viele in der (virtuellen) Runde nicken.

In diesen Team-Sitzungen werden auch rechtliche Fragen besprochen und neue Erkenntnisse oder Erfahrungen ausgetauscht. Eine unschätzbare Informationsbörse, wie ein Beispiel zeigt: Julia Aichholzer vom Handwerks-Bildungszentrum berichtet von einem Workshop, an dem sie teilnahm. Da ging es um Fördermöglichkeiten für Praktika, die Geduldete dem deutschen Arbeitsmarkt näherbringen sollen. Die beiden Betreuer von Ayo horchen auf. Es geht um die Vermittlung in Pflegeberufe. Dort hat Aichholzer eine direkte Ansprechperson kennengelernt. Sebastian Schneider weiß, dass sein Schützling in dieser Sparte berufliches Interesse hat. Wieder mal ein Volltreffer durch das Netzwerk!

Nächster Schritt: Ausbildung

Davon erzählt er Ayo beim nächsten Treffen. Die junge Frau lächelt. Eigentlich möchte sie noch nicht arbeiten, sondern als nächstes den Realschulabschluss machen. Teilhabemanager und Coach schlagen einen Kompromiss vor: eine Berufsausbildung im Bereich „Kinder und Jugendliche“ kombiniert mit dem mittleren Schulabschluss? So oder so, will sie „Durchstarten“.