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In Brühl findet Integrationsarbeit ohne Umwege statt

In Brühl findet Integrationsarbeit ohne Umwege statt

Es ist ein Leben „unter dem Radar“. In Nordrhein-Westfalen leben 23.000 geflüchtete, junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren, die bei uns „nur“ geduldet, aber nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Die Abschiebung kann ihnen täglich drohen. Ein Leben zwischen Frust, Angst und Hoffnung. Dabei sehen viele von ihnen ihre Zukunft in Deutschland. Die Landesprogramme „Gemeinsam klappt’s“ und „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ erkennen das Problem und ermöglichen Perspektiven. Ein Erfolgsfaktor ist die persönliche Nähe zu den Geflüchteten. So kann es hilfreich sein, wenn auch kreisangehörige Städte eine eigene Geschäftsführende Stelle (GfS) installieren, wie ein Beispiel aus dem Rhein-Erft-Kreis zeigt.

Verstreutes Spielzeug, kleine Stühle, ein Janosch-Poster an der Wand: hier sieht es aus wie in einer gewöhnlichen Kindertagesstätte. Durch die lustig beklebten Fensterscheiben erkennt man ein Klettergerüst im Garten. Auch das passt ins Bild. Trotzdem ist das keine „normale“ Kita, sondern der Kinderbetreuungsbereich im KOMM-MIT, dem städtischen Integrationszentrum im rheinischen Brühl. Das Gebäude ist gleichzeitig Sitz der Geschäftsführenden Stelle in der Landesinitiative „Gemeinsam klappt’s“ und einer angestellten Teilhabemanagerin.

Für Pascal aus Guinea und seine Frau hat dieser Ort einen unschätzbaren Wert. Er arbeitet als Lagerist in der Nähe, und zeitgleich kann seine Frau an einem Deutsch-Kurs in der oberen Etage des KOMM-MIT teilnehmen. Das wäre für sie nicht möglich, wüsste sie nicht ihre quicklebendigen Kinder Alassan (vier Jahre alt) und Soumaila (3) hier in sicherer Obhut. Die Sprachkurse richten sich eindeutig an Familien mit Kindern. Ein weiterer Effekt: „Die Frau kommt auf diese Weise mal raus und kriegt Kontakte über die eigene Gruppe hinaus“, sagt Daniela Kilian, Integrationsbeauftragte der Stadt Brühl und Leiterin der Geschäftsführenden Stelle.
 

Spontan-Beratung auf dem Kita-Boden

Jetzt fällt es den jungen Eltern regelrecht schwer, ihre Kinder von den Spielsachen loszureißen. Zeit für ein kurzes Gespräch mit Teilhabemanagerin Jolanta Anna Stachlewitz, die bei dieser Gelegenheit erfährt, das Pascal nicht auf Dauer in der Logistik bleiben möchte, sondern eine Klempner-Lehre anstrebt. Ad-hoc-Beratung auf dem Boden des Spielzimmers: „Dafür brauchst Du ausreichende Deutschkenntnisse, und dann können wir auch einen Praktikumsbetrieb für Dich suchen.“

Es ist dieser besondere Ansatz der umfassenden Begleitung, der sog. „Bildung von Betreuungsketten“, auf den die Integrationsarbeit in Brühl setzt. „Gesteuert ‚aus einer Hand‘, aber umgesetzt in Kooperation mit Institutionen und Trägern im sachlichen und fachlichen Kontext“, erklärt Daniela Kilian. Das war auch der Grund, warum die 46.000-Einwohner-Stadt Brühl im November 2019 sich als eine der ersten kreisangehörigen Kommunen in NRW um die Einrichtung einer Geschäftsführenden Stelle der Landesinitiative „Gemeinsam klappt’s“ bewarb.
„Dass Brühl eine eigene Geschäftsführende Stelle im Rahmen der Landesinitiative einrichten konnte – und damit auch eine Teilhabemanagerin mit einer halben Stelle gefördert werden kann - ist für die Arbeit vor Ort eine unglaubliche Bereicherung“, so Bürgermeister Dieter Freytag. „Die Erfolge sprechen für sich.“

Das war der richtige Schritt, bilanziert Daniela Kilian. Sie ist sogar ein wenig stolz, dass Brühl hier Pionierarbeit leistet. „Nah dran sein an den Menschen“, sei wichtig, bestätigt Teilhabemanagerin Stachlewitz. „So baut man vor Ort Vertrauen auf und motiviert die Menschen.“ Für die Geflüchteten und ihre Familien erscheint die Kreisstadt Bergheim häufig weit entfernt.
 

Persönliche Ansprache steigert die Akzeptanz

Stachlewitz sieht sich als Bindeglied zu weiteren (noch zu involvierenden) Institutionen und fungiert als Wegweiser in einem oftmals undurchsichtigen „Dschungel“ bürokratischer Anforderungen. „Es hat sich herausgestellt, dass der persönliche Kontakt, die persönliche Ansprache und Begleitung die Akzeptanz unserer Angebote um ein Vielfaches erhöht oder überhaupt erst ermöglicht.“
Dabei legt man in Brühl einen besonderen Fokus auf junge Erwachsene, die zusätzliche Hemmnisse mitbringen: sei es, dass sie eine Kinderbetreuung benötigen, mangels Deutschkenntnissen keine Stelle finden oder keinen Schul- bzw. Berufsabschluss vorweisen können.

Omar Diallo aus Guinea nimmt auch an dem Sprachkurs teil. Besonderer Vorteil für ihn, der in Wechseldiensten arbeitet: Die Deutschklasse wird in zwei Schichten (9 bis 12.30 Uhr sowie 17 bis 20 Uhr) angeboten. Aber auch sonst ist das offene Begegnungs-Café im Erdgeschoß des KOMM-MIT (das steht für „Kommunales Miteinander“) für ihn ein regelmäßiger Treffpunkt. Eine Tauschbörse für Informationen. Hier lernte er einen ehrenamtlichen Brühler kennen, der ihm Kontakte zu einem örtlichen Amateur-Fußballclub verschaffte. Inzwischen spielt er  zweimal pro Woche mit.  „Unbürokratisch, flexibel, vor Ort“ – lautet für Daniela Kilian die Erfolgsformel, die sie auch anderen Städten in Flächenkreisen ans Herz legt.
 

Umfassende Datenbasis für künftige Aufgaben

 Das klingt zunächst nach „Mehraufwand“ für die kreisangehörige Kommune, erweist sich im Endeffekt aber als Gewinn. „Es schont Ressourcen, denn wir können uns direkt mit anderen Geschäftsführenden Stellen austauschen und in Einzelfällen auch direkt mit dem Ministerium Kontakt aufnehmen“, sagt Kilian.

Nebenbei werden bei dieser intensiven Integrationsarbeit vor Ort auch wertvolle Informationen erfasst. Brühl macht Befragungen und führt Buch über seine Arbeit. Die Ergebnisse werden in einer so genannten Klientendatei dargestellt und kommuniziert. „Am Ende steht eine Datenbank mit Erkenntnissen, die in anonymisierter Form weiter ans Land gegeben werden“, sagt Daniela Kilian.

Es ist ein Fundus von Informationen, der über die Projektzeit von „Gemeinsam klappt’s“ und „Durchstarten“ hinaus wichtig sein wird, glauben die Praktikerinnen vor Ort. Dann wird das Kommunale Integrationsmanagement - nicht nur in Landkreisen wie dem Rhein-Erft-Kreis - vor weiteren Herausforderungen stehen.

Für Teilhabemanagerin Jolanta Anna Stachlewitz sind nicht nur Zahlen ausschlaggebend. Der Erfolg der persönlich ausgerichteten Integrationsarbeit zeigt sich für sie in kleinen Dingen. Ein Geflüchteter aus Nigeria mit einer langjährigen Aufenthaltsgestattung hat ihr kürzlich mitgeteilt, er wolle nun seinerseits als Ehrenamtlicher tätig werden.